Was hinter der Geschichte „Der Zauberer von Oz“ steckt – Interpretationsversuche unter der Lupe.

Der Vater von OZ

Lyman Frank Baum ist 1856 in Chittenango. New-York geboren. Der Sohn eines deutschstämmigen Vaters verbrachte seine Kindheit in dem luxuriösen Anwesen Rose Lawn. Zu seinem 15. Geburtstag schenkte ihm sein Vater eine Druckerpresse, die Baums Interesse am Schreiben weckte.

In seinen ersten beiden Büchern erzählte er vorwiegend traditionelle Geschichten nach, wobei er in einer dieser Geschichten ein junges Mädchen namens „Dorothy“ einführte. Dies führte ihn zur Schaffung des Landes der Wunder und Freuden Oz. Im Jahr 1900 erschien sein Buch The Wonderful Wizard Of Oz, das über Nacht zu einem riesigen Erfolg wurde. Binnen zweier Jahre wurde es als Bühnen-Musical adaptiert, für das Baum selbst das Drehbuch schrieb. Baum verfasste noch 13 weitere Romane um das wunderbare Land, wobei er mehrfach erklärte, die Serie jetzt abgeschlossen zu haben und keine weiteren Oz-Fortsetzungen mehr zu schreiben. Unterdessen wandte er sich zahlreichen anderen Kindergeschichten zu, unter anderem unter dem Pseudonym Edith Van Dyne. Aufgrund der hohen Nachfrage nach weiteren Oz-Romanen und wegen der Briefe vieler Kinder setzte er die Serie jedoch immer wieder fort.

Lymann Frank Baum starb 1919 in Hollywood. Er hat in seinem Leben über 60 Bücher veröffentlicht

Das Werk

Mit dem Erfolg von „Der Zauberer von OZ“ kamen natürlich auch Kritiker, Rezenten und Interpreten auf den Plan. „OZ“ sorgt immer wieder für wilde Spekulationen und Interpretationen. Zweifelsohne bietet die Geschichte auch allerhand verschiedene Aspekte die sich für Interpretationen anbieten. Manche Theorien ergeben wirklich Sinn und bereichern das Wissen. Andere sind einfach nur zur (schönen) Unterhaltung.

Vor allem 5 Theorien halten sich hartnäckig rund um den Kinderbuch-Klassiker. Hier ein kurzer Überblick zu den politischen, religiösen und psychologischen Theorien zu „Der Zauberer von OZ“.

Allorgie zur politischen Lage der USA vor 1900

Bekannte Feuilletonisten (z.B Hannes Stein, Welt) interpretieren allegorische Züge zu dem politischen Verhältnis der USA vor dem zwanzigsten Jahrhundert. Mehrere (und folgende) Beispiele sollen diese Theorie stützen:

  • Dorothy repräsentiert mit ihrer warmherzigen Art die amerikanische Bevölkerung. Sie steht in der Mitte aller Geschehnisse. Dies stets unschuldig, clever, tapfer – jedoch immer etwas in der Opferrolle.
  • Die Freunde die Dorothy auf ihrem Weg zum Zauberer antrifft, stellen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe dar. So steht der Blechmann für die Industie, die Vogelscheuche stellt die Farmer dar und der Löwe steht stellvertretend für die Reformer.
  • Die böse Osthexe symbolisiert den finanziellen Einfluss der Ostküste. Zur damaligen Zeit befanden sich dort nämlich besonders viele mächtige Wirtschaftskreise. So waren vor allem auch Banken an der Ostküste ansässig.
  • Auch der Zauberer in Person symbolisiert die politischen und wirtschaftlichen Mächte innerhalb der USA. Der Zauberer ist schlussendlich der Betrüger, das lässt deuten, dass man die eigentliche Macht in den Bürgern Amerikas zu suchen habe.
  • Oz selbst ist – bis heute – die Abkürzung für „Ounces“. In dieser Masseinheit wiegt man Gold. Das Grün der Smaragdstadt steht folglich auch für den US-Dollar.

Zurückzuführen ist diese Theorie auf einen Geschichtslehrer, der mit „Der Zauberer von OZ“ seinen Unterricht interessanter gestalten wollte und somit Parallelen zu dem Werk suchte. So viele Unterstützer die Theorie findet – soviel mal wird sie – vermutlich auch mit Recht – verworfen.

Religiöse Aussage

Bei fast allen literarischen Werken stösst man immer wieder auf religiöse Interpretationen. Natürlich auch beim Zauberer von OZ. Neben dem Christentum, das im Buch an mehreren Stellen seinen Platz findet, wird dem Buch auch die Erleuchtung des Buddhismus nachgesagt. Dies ist insbesondere dadurch der Fall, dass man davon ausgehen kann, dass Frank Lyman Baum mit der buddhistischen Religion bekannt, ja, vertraut war. Besonders im Fokus steht dabei der gelbe Ziegelsteinweg als Weg der Erleuchtung. Er führt zu Oz, dem Zauberer der Dorothy und ihren Freunden die sehnlichsten Wünsche erfüllen soll. In diesem Kontext kann man schon von einer Metapher für das Nirvana reden. Während des Weges begegnen den vier Freunden viele Versuchungen, die sie alle ablehnen. Und gleichzeitig müssen sie Abenteuer trotzen um ihre Erleuchtung zu erhalten. Als der Zauberer jedoch als Betrüger entlarvt wird, wird ihnen klar, dass sie sich durch ihre Reise die eigene Erleuchtung erschlossen haben. Der achtfache Weg aus der buddhistischen Lehre kommt hierbei besonders deutlich zur Geltung. Die drei Gruppen: Weisheit, Sittlichkeit und Vertiefung werden hier vom Blechmann, der Vogelscheuche und dem Löwen repräsentiert.

Atheistische Aussage

Ironischerweise kann man dem Buch – sogar bei genau den gleichen Stellen – genauso eine atheistische Absicht zusprechen. Dass der Zauberer als Gott eben nur ein Betrüger ist und somit gar kein Gott existiert und damit all das spirituelle Drumherum nur auf faulen Tricks basiert. Dass Dorothy und ihre Freunde diesen Möchtegern-Gott auch gar nicht brauchen, kann man in Folge dessen in diese Richtung interpretieren: Wir sind unser eigener Gott. Diese Argumentation verursachte um 1900 ein Aufstand von konservativen Christen – Sie versuchten gar, das Buch zu verbieten. 1986 (!) entschied ein Gericht in Greeneville (Tennessee) sogar, dass fundamentalistische Christen in der Schule nicht zum Lesen des Werkes gezwungen werden dürfen, da es antichristlich sei. Da es zum einen „gute Hexen“ beschreibe und zum Anderen weil Attribute wie Intelligenz und Mut nicht als gottgegebene dargestellt werden.

Feministische Bewegung

Jedes literarische Werk mit einer starken Protagonistin lässt auch eine feministische Interpretation zu. Grundsätzlich ist es auch bei „Der Zauberer von Oz“ nicht abwegig. Bedenkt man, dass die mächtigsten Personen, die Hexen, alle weiblich sind und auch Dorothy nicht die dumme, naive Frauengestalt – die man sonst aus solchen Büchern kennt – wirkt diese Interpretation durchaus schlüssig. Dorothy ist gutmütig, tapfer und unheimlich klug. In diesem Kontext interessant: Den männlichen Figuren fehlen diese Attribute. Dem Blechmann fehlt das Herz, dem Löwen der Mut und der Vogelscheuche der Verstand.

Gestützt wird die Theorie durch den Umstand, dass Baums Schwiegermutter niemand anderes war als Matilda Joslyn Gage – eine Frauenrechtlerin, die sich auch für Abolitionismus einsetzte.

C.G. Jungs Analytische Psychologie

In der Theorie der von C.G. Jung entwickelten analytischen Psychologie existieren ebenfalls einige Parallelen zu den Figuren aus dem Buch „Oz“.

Diese zu erklären würde den Rahmen sprengen – auf die wichtigen Begriffe „Animus“ und „Anima“ kann man jedoch auch hier nicht verzichten.

Ein kleine Streifung sei dennoch erlaubt: Grob zusammengefasst interessiert uns bei Dorothy nur ihr Animus; Eine Ansammlung verschiedener männlicher Attribute im Unbewussten einer Frau. Diese Attribute erscheinen in Träumen als männliche Figuren. Im Kontext von Dorothy, welche gerade eine Reise zur Selbstfindung macht, lassen sich die verschiedenen Phasen ihres Animus in ihren Freunden wiederfinden. Der Löwe steht für die physische Kraft, der Blechmann repräsentiert die Romantik und die Vogelscheuche vertritt die Weisheit. Die vierte Phase als Wegweiser zu sich selbst wird durch den Zauberer Oz selbst verkörpert.

Auch ein Teil der menschlichen Psyche sind laut Jung die Schatten, unbewusste oder verleugnete Teile der Persönlichkeit, da sie dem ICH gegenüberstehen. Oder um es anders auszudrücken, die bösen Seiten einer Persönlichkeit. Diese werden in dem Werk durch die bösen Hexen und den Geistern im Gefolge der bösen Hexe dargestellt.

Und jetzt?

Vor gar nicht all zu langer Zeit diskutierte ich mit einer befreundeten Literaturdozentin über einen unterhaltsamen Roman. Bezüglich dessen Interpretation waren wir uns jedoch nicht im Ansatz einig; ein kleiner Streit entstand. Am Schluss dieser Diskussion blieb die Erkenntnis – Interpretationen sind individuell dem Leser überlassen; wichtig ist und bleibt, dass ein Werk zu faszinieren vermag und gefällt.

Die Inszenierung des Visper Theaters unter der Leitung von Richard Millius betont die magischen und märchenhaften, fantasievollen Elemente von „Oz“. Ein Stück, dass in seinen zauberhaften Bann zieht – ohne dass man sich den Kopf zerbrechen muss.

Ein Spass für die ganze Familie – auch ganz ohne Interpretationen. Und wenn es denn doch ganz dringend besprochen werden muss: Nirgends klappt das besser, als bei einer anschliessenden Tasse Glühwein.

Dieser Text beruht auf folgenden Quellen:
welt.de (Der Zauberer von Oz – von Hannes Stein)
„Alles über den Zauberer von OZ“, Europa Verlag, Januar 2003
„Die Tiefenpsychologie nach C.G. Jung“, Verena Kast, Patmos, September 2014
wikipedia.org

Johannes Millius ist Vereinsmitglied. Der gelernte Buchhändler unterrichtet ebensolche an der Berufsschule in Bern und arbeitet in einem wissenschaftlichen Verlag. In „Der Zauberer von OZ“ verkörpert er den Blechmann. Wagt von sich zu behaupten, dass er doch ein grosses Herz hat. Ganz ohne Interpretationsspielraum.